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Neoliberal in den Faschismus

Es marschieren wieder Menschen offen und leben eine unmenschliche und egoistische Menschenfeindlichkeit aus, die einen Vergleich hat. Das gab es in Deutschland schon einmal. Alles gab es schon einmal, die wirtschaftliche Verunsicherung, die Abstiegsängste der sogenannten Mittelklasse. Auch die Zurichtung des Menschen auf Funktion und Nützlichkeit. Die kalte Persona entstanden aus der Verdrängung der Folgen es sogenannten 1. Weltkrieges ersteht wieder auf aus den Trümmern des Sozialstaates, der sich schon längst zu einem Kontroll- und Überwachungsstaat mit wirtschaftspolitischer Ausrichtung gewandelt hat und den einzelnen Menschen ein lapidares „Streng dich mehr an“ als Lösung hinwirft.

Ich beobachte, lese, manchmal kommentiere ich auf Twitter aber im Großen und Ganzen fühle ich mich ohnmächtig und sprachlos. Manchmal könnt ich vor Wut aus der Haut fahren und gleichzeitig möchte ich mich auf eine goldene Insel zurückziehen, wo alles gut ist.

Ende März jährt sich meine Bloggerei zum zehnten Mal, schon damals war ich besorgt über den gewollten Umbau der Grundannahmen der Gesellschaft. Die Forcierung des neoliberalen Paradigmas der Vereinzelung, die Zerstörung der Gemeinschaften perfiderweise als Fortschritt tituliert und von den „Massen“ geschluckt. Alles ein Deckmantel für die unbegrenzte Zerstörung des Planeten und der Menschen im Namen von wirtschaftlichem Wachstum. Fassungslos macht mich das. Ja, ja, es gibt Erklärungen, die individuelle Entscheidungen einzelner fassen vermögen aber die Gesamtentwicklung. Es ist ihnen alles so egal, sie sind nur interessiert an Wachstum. Im Gefolge dessen werden seit 50 Jahren Sozialsysteme in Europa demontiert, die doch eigentlich hätten ausgebaut und weiterentwickelt gehört hätten. Ja, ich lebe noch in dem Menschheitstraum eines besseren, gerechteren Lebens für alle Menschen. Ja, auch zu dem Preis, dass wir hier in Europa uns zurücknehmen müssen. Nicht so viel besitzen, nicht so viel konsumieren, weniger besserwissen, mehr Geschichte durcharbeite, mehr Demut gegenüber den Folgen europäischen Handelns in der Geschichte und Gegenwart, aber vielleicht auch mehr gemeinsam machen, mit der Nachbarin oder wem auch immer. Dieser Optimismus in mir, ich habe ihn vor nicht allzulanger Zeit in mir entdeckt. Vielleicht weil ich verstand, dass Adorno nur deshalb weitermacht, weil er glaubte, dass es sich lohnt, dass sich etwas ändern kann. Was würde er wohl sagen, lebte er heute. Ich weiß nicht mehr, ob es sich lohnt, ich sehe nur keinen anderen Weg. Kind der Aufklärung. Welch Zynismus war doch die Aufklärung an deren Peripherie Sklaverei, Brutalität und Mord den Reichtum Europas sicherte.

Politik, Journalist*innen und Verantwortliche (und auch weniger Verantwortliche) in Institutionen und Behörden klammern sich an eine irrationale Angst vor dem Kommunismus et al., der die europäische Geschichte seit 150 Jahren durchzieht. Dagegen sind rechte Positionen und Gewalttaten zu vernachlässigen. Es fällt mir mehr und mehr schwer, nachzuvollziehen, wieso diese Irrationalitäten nicht breiter erkannt werden. Es fällt mir so schwer nachzuvollziehen, dass es funktioniert, wo alles so offen auf der Hand liegt.
Diese Menschen behaupten mit ihren Märschen gegen Menschen einer Glaubensgemeinschaft, dass diese entfernen (was immer das heißen mag) würde ihre Probleme lösen. Glauben diese Menschen ernsthaft, dass das meritokraitsche Heilsversprechen, wenn sie sich anstrengten, würden sie auch nicht absteigen, sich erfüllt, wenn Muslime aus dem Land sind? Auf der Glaubensebene scheint es so zu sein. Aber es ist Feigheit. Ich sehe die Feigheit dieser Menschen, sich gegen die zu wenden, die ihr kommendes Elend zu verantworten haben. Niedriglohn, Abbau von Sozial- und Arbeitsrechten, Zerstörung der Altersicherung, Zerstörung der Umwelt im Namen von wirtschaftlichen Wachstum. Feigheit. Sie könnten seit Jahren auf der Straße stehen und für ihre Rechte kämpfen, statt jetzt gegen Muslime und Muslimifizierte und alles anderen Menschengruppen, die sich von ihnen unterscheiden oder von denen sie denken, sie unterschieden sich. Eine der Symbolfiguren dieser Entwicklung faselt etwas vom Aufstand der Anständigen. Ein Anständiger, der die Lebenshoffnungen so vieler zerstört hat. Da will ich keine Anständige sein. Wahrscheinlich war ich das sowieso nie. Ein*e Anständige*r darf nicht mitfühlen und nach Gerechtigkeit fragen. Mitgefühl und Gerechtigkeitssinn sind nicht erwünscht. Anständige wissen was richtig ist, ich bin mir immer weniger gewiss.

Sie bauen alles um, die Spielräume, die vor 30 Jahren schon nicht so groß waren, schwinden im Angesicht des Rattenrennens, um mehr wirtschaftlichen Wachstum und Sicherstellung der eigenen Position. Es wird kälter im Land. Und wieder und wieder heißt es: „Streng dich EINFACH MEHR an, dann wird es schon“. Wie Tantalos greifen sie nach den Weintrauben, die sie doch nicht erreichen und treten nach denen, von denen sie glauben, das sie ihnen die unerreichbaren Weintrauben wegnehmen könnten. Sie handeln im Glauben, das brächte die Weintrauben näher.

Während auf der einen Seite, die Sicherheit der Menschen preisgegeben wird, weil zu viel Sicherheit die Freiheit zerstören soll und geleugnet wird, dass Sicherheit im Leben der Garant für persönliche Freiheit ist, bauen sie paternalistisch einen angeblichen Schutz vor Bedrohungen aus und zerstören damit die Freiheit und kontrollieren alle und alles. Ein perfides Spiel mit Worten und ihrem Inhalt. Was für eine Verdrehung. Das ist nicht zu verstehen, vielleicht ein bisschen mit dem Verstand aber nicht mit dem Gefühl. Es ist so grundfalsch, dass ich es kaum glauben kann, dass es passiert. Adorno und Becker sprachen vor 45 Jahren im Radio darüber, wie es gelänge, die Menschen zu entbarbarisieren. Sie sprachen vom Autoritätsprinzip, dass jede „unerhellte Autorität“ abgebaut gehört. Wie in einem Albtraum ohne Aufwachen greifen diese Strukturen wieder, diesmal im Gewand eines globalen ökonomischen Prinzips, dass den Begriff der der Selbstverantwortung der Einzelnen pervertiert. Dieses Prinzip wird ebenso auf globale Zusammenhänge übertragen, keine Geschichte mehr, keine Verantwortung für die komplexen Strukturen, die heutige Verhältnisse hervorbrachten. Wie auch der Mensch, ist jeder Staat nur für sich selbst und aus sich heraus verantwortlich, was passiert.

Und mit Häme und Fingerzeig werden die Zurückgelassenen auf dem Pranger der Medien und Politik und auch im Privaten für ihre hoffnungslose Situation veurteilt. Das muss aufhören, diese Lüge über die Chancen der Einzelnen durch persönliche Anstrengung, die jede strukturelle und auch gewollte Benachteiligung verleugnet. Es ist die Rede vom „verrohten Bürgertum“. Diese Rohheit wird jetzt auf die Straße getragen. Rohheit ist frei von Mitgefühl und Gerechtigkeitssinn. Roheit sieht nur sich selbst und die eigene Position. Rohheit nennt sich auch „Zalando-Tag“, wo erwerbslose Menschen unter Androhung des Verlusts ihres sogenannten Existenzminimums in erschöpfende und unterbezahlte Arbeit gezwungen werden. Rohheit ist diese Gemeinde, die am Ortseingangsschild Flüchtlingen erklärt, sie wären willkommen nur nicht hier. Rohheit von Freiheit und „Brüderlichkeit“ zu sprechen und überall an der Peripherie Europas Mauern errichten, damit die, über deren Elden sich so wohlig sprechen lässt, keine Chance haben. Rohheit ist der*die Lehre*in, die meint einen untrüglichen Gerechtigkeitssinn auszuüben, wenn sie die Leistungen nicht weißer Kinder bewertet und nicht davon weiß und wissen will, dass diese sich doppelt, ach was dreifach anstrengen müssen, um genauso gut wahr genommen zu werden. Rohheit ist die Polizei, die Mord nicht sehen will und von Selbstmord faselt. Rohheit ist es, zu sagen, dass Hunger kein Grund ist, seine Heimat zu verlassen. Rohheit, die sich roh gegen die wendet, die sie ausüben und noch mehr Rohheit gebiert. „Streng dich an, dann schaffst du es“ Rohheit überall.