Politik hinter dem Zaun

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“Politikverdrossenheit in Deutschland. Wohin führt uns die Parteiendemokratie? Kritiken, Analysen und Utopien sind gefragt!”

Die Bilder vom G8-Gipfeltreffen in Heiligendamm waren für mich von symbolischem Gehalt. Vor dem Zaun tobte das Leben, abertausende Menschen versuchten mit unterschiedlichsten Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Es ging um Hunger und Armut auf der Welt, um Frieden und soziale Gerechtigkeit und auch um das Recht uneingeschränkt demonstieren zu können.

Und hinter dem Zaun?

Eine andere Welt, weiß getünchte Häuser mit gepflegten Rasen auf denen gepflegt Tee getrunken wurde. Man konnte sie miteinander scherzen und dabei an ihren Tassen nippen sehen. Die sind echt nicht von hier, dachte ich, die leben auf einem anderen Planeten, voll mit Gebäck, Tee und artigem Lächeln um 17:00 Uhr. Von den Ereignissen und Menschen vor dem Zaun war nichts aber auch gar nichts zu spüren. Aliens. Fremdartige. Varelse*. Die wissen nichts von den Menschen, deren Vertreter sie angeblich sind und die wollen davon auch nichts wissen. Auch nur zu denken, man könnte mit denen reden, sie Anschreiben oder in irgendeiner anderen Art und Weise erreichen, würde schon an der Sprachbarriere scheitern. Sie würden lächeln und nichts verstehen.

Doch der Zaun braucht nicht so real zu sein, wie es der in Heiligendamm war. Der Zaun ist immer da aber nicht immer spürbar. Er ist immer dann spürbar, wenn wieder einmal vollkommen sinnlose Entscheidungen zu Gesetzen werden sollen, wie es zum Beispiel bei Arbeitslosengesetzgebung stattfindet, die eher eine Bekämpfung der Erwerbslosen gleicht als einem konstruktiven Umgang mit dem Ende der Vollzeitbeschäftigung. Ähnliches gilt sicherlich auch für andere Reformversuche und –vorhaben. Der Zaun ist immer dann spürbar, wenn wir sie reden hören, ihre hohlen Phrasen, die sie ungreifbar machen. Der Zaun ist immer dann spürbar, wo Entscheidungen, die tief in die Leben der Menschen vor dem Zaun eingreifen, überdeutlich durch den Einfluss von Lobbyorganisationen beeinflusst sind. Der Zaun, dass ist die Arroganz von Menschen, die glauben, nicht mehr zuhören zu müssen, weil sie meinen schon alles zu wissen.

Parteiendemokratie? Die Demokratie ist zu einer Wahlveranstaltung degeneriert. Vielleicht bin ich auch idealistisch und bilde mir ein, es wäre mal anders gewesen. Vielleicht war es immer schon so. Wahlen sind wichtig, nicht nur für die Wählerinnen und Wähler, die hoffen, damit Einfluss auf die Politik nehmen zu können. Eine Hoffung, die mit der zunehmenden Ununterscheidbarkeit der Parteien voneinander immer mehr zu schwinden schient. Und Wahlen brauchen die hinter dem Zaun, denn Wahlen legitimieren sie überhaupt erst, auch wenn die Legitimierten von den Legitimierenden kaum noch Notiz nehmen. Wahlen sind zu einer reinen Legitimationsinstrument verkommen. Erschreckende Vorstellung. Wahlen, um das von den Menschen losgelöste Verhalten der Politiker zu rechtfertigen. Denn schließlich haben „wir“ sie gewählt und nun müssen wir mit dem, was diese Menschen hinter dem Zaun verzapfen leben lernen.

Manchmal wundere ich mich, wie unverdrossen das Leben vor dem Zaun weitergeht.

*Orson Scott Card stellt in seinem Roman „Sprecher für die Toten“ ein Modell vor, nach dem sich vier Grade der Fremdartigkeit unterscheiden lassen; die jeweilige Einstufung eines Fremden bestimmt die Verhaltensweise ihm gegenüber. Die 1. Stufe umfasst die „Andersländer“, Menschen von unserer Welt, aber aus einem anderen Land oder einer anderen Stadt. Auf der zweiten, schon fremderen Stufe findet sich der „Framling“, der Mensch von einer anderen Welt. Fremde (Aliens), die als menschlich anerkannt werden, aber einer anderen Spezies angehören, werden „Ramänner“ genannt, und mit denen Verständigung und ein gegenseitiges Verständnis möglich ist und schließlich „Varelse“, der wahrhaft Fremde, mit dem keine Verständigung möglich ist, aus dessen Handlungen wir nicht auf seine Motive oder seine Intelligenz schließen können.

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10 Antworten zu “Politik hinter dem Zaun

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  2. Man wird irgendwie an Marie Antoinette erinnert die fragte „Warum essen die Leute nicht einfach Kuchen wenn sie kein Brot haben.“
    Ihr Kommentar war nicht typisch für den Adel in einer Monarchie, sondern ein Indiez dafür das der Adel in Frankreich 1789 schon so lange vom Volk abgehoben war das es gar keine Komminokation mehr gab.
    Der Grund?
    Der Landwirtschaft, auf der die Monarchie basiert war, ging es immer schlechter weil billige Arbeitskräfte leicht Frankreich verlassen konnten, während billiges Korn leicht auf dem Rhein aus Preußen importiert werden konnte. Eigentlich Globalisierung rev 1.00.
    Unsere Demokratie ist auf Industrie basiert, und die bringt es nicht mehr. Genau wie der Adel in Frankreich um1780 rum, ziehen sie sich immer mehr vom Volk zurück und spielen „Politiker, ganz wichtig im Dienst“ Erfinden neue Lösungen für Probleme die sie selbst erfunden haben, wie die Umwelthysterie.

  3. Der Zaun existiert tatsächlich auch außerhalb des G8-Gipfels in Heiligendamm. Und ich finde sehr gut wie Du dies darstellst. Allerdings glaube ich schon, dass wir eine Chance haben die „Außerirdischen“ zu erreichen. Nämlich in dem wir all die Zäune die es gibt überwinden und zu ihnen durchdringen mit unserer Realität. Das ist, denke ich, eine unserer wichtigsten Aufgaben.

  4. @Bernhard, naja, vielleicht sind sie doch „Ramänner“ aber wer das Buch von O.S. Card kennt, weiß, welche Probleme sich da auftun können.

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